Auf Entdeckertour mit Link und Mario | Nintendo hat die Antwort

Super Mario: Odyssey (Bildquelle: Nintendo)
Super Mario: Odyssey (Bildquelle: Nintendo)

Ich lasse meinen Blick über die prähistorischen Weiten der Fossilfälle schweifen. Dort in der Ferne hält ein T-Rex ein Mittagsschläfen, unter mir rauscht der Wasserfall. Doch dort hinten, auf einem kleinen Berg, da glitzert doch etwas. Ein Powermond! Ein gekonnter Sprung hinab ins kühle Nass und schon nähere ich mich dem Objekt meiner Begierde. Noch nicht ganz trocken, hüpfe ich mit einer rasanten Rückwärtssalto-Wandsprung-Hechtsprung-Kombination hinauf auf die unerhöhrt unzugängliche Gesteinsformation und schnappe mir das Sammelobjekt, mit dem ich mein Raumschiff, die Odyssey, antreibe. Doch was ist das? Dort unten, im Becken unter dem Wasserfall, da glitzert doch etwas. Ein Powermond! Und da bin ich auch schon auf dem Weg hinab.

Siegeszug der Open-World

Was ich hier beschreibe, ist eine alltägliche Situation aus dem für die Nintendo Switch erschienen Super Mario Odyssey. Als ich in diese Schleife geriet, von einem Powermond zum nächsten zog, meinen Blick immer über die Landschaft schweifend lassend auf der Suche nach weiteren energiegeladenen Himmelskörpern, da musste ich kurz innehalten. Was passierte hier? Das kam mir doch bekannt vor. Dieses Umherstreunen durch die Spielwelt, das Sich-treiben-lassen durch die Landschaft, das hatte ich erst vor kurzem in solcher Intensität erfahren. Kein einziges Mal blickte ich auf die Karte, die mit dem Drücken eines Buttons aufgerufen werden konnte. Kein einziges Mal fühlte ich mich verloren, schien ich das Ende erreicht zu haben. Mit jedem Ort, den ich erreichte, taten sich zahlreiche neue, erkundenswerte Lokalitäten auf – und das nicht, weil sich ein Tor öffnete oder eine unsichtbare Mauer wegbrach, nein, einfach nur, weil sich neue Perspektiven auf die Spielwelt eröffneten. So hatte ich mich auch schon in The Legend of Zelda: Breath of the Wild, das auch für die Switch erschien, durch die Landschaft bewegt.

Und erst in diesem Moment wurde mir klar, wie ähnlich sich diese beiden Spiele doch sind. Das ist kein Zufall: Was beim Release von Breath of the Wild vielleicht noch als ambitionierter Ausreißer gedeutet werden konnte, offenbart sich nun mit der Veröffentlichung von Odyssey als Nintendos Antwort auf Fragen, die in den letzten Jahren vermehrt an Digitale Spiele und ihre Konsumenten gestellt werden. Eine dieser Fragen scheint allerdings schon deutlich von den Veröffentlichungen der letzten Jahre beantwortet worden zu sein: Wie wird sich die zunehmende Rechenleistung von PCs, Xbox One (X), PS4 (Pro) und Konsorten auf die Spiele auswirken, die auf den Mainstream-Markt drängen? Egal ob Metal Gear Solid: The Phantom Pain, Mittelerde: Schatten des Krieges oder eben The Legend of Zelda: Breath of the Wild: Die Open-World-Spiele haben sich in mannigfaltigen Hybridformen als Leitfiguren des Jahrzehnts herauskristallisiert. Doch daraus erwachsen weitere Fragen: Wie sind diese immer größer werdenden Welten beschaffen? Welchen Einfluss haben diese Welten auf die Art, wie wir Digitale Spiele spielen? Diese und andere Fragen sind gewiss noch nicht abschließend geklärt.

Individuelle Landschaftserfahrungen

Was ich aber behaupten möchte: Nintendo bietet mit seinen Großproduktionen in diesem Jahr (zumindest für mich) höchst ansprechende Antworten auf diese Fragen an. Sicherlich, die „individuellen Landschaftserfahrungen“1, so benennt sie der Kulturwissenschaftler Marc Bonner, hat Nintendo weder erfunden, noch für sich gepachtet. Doch im Vergleich zu zahlreichen anderen Produktionen wie Metal Gear Solid, Fallout 4 oder Assassin’s Creed erweisen sich diese Landschaftserfahrungen in den beiden von mir hier betrachteten Spielen als erfrischend ungelenkt. Dieses „gleichmäßige Netz an Ausblicken“2, das ich hier einleitend versuchte zu skizzieren und das Marc Bonner als „prospect pacing“3 definiert, zeigt sich in bestechender Weise in Breath of the Wild und Odyssey. Die Erkundung der Spielwelt wird von der Spielwelt selbst forciert und stimuliert, ohne dass auf Zielmarkierungen oder ähnliches zurückgegriffen werden muss. Neugierde und Entdeckerdrang wird belohnt, aber eben auch erst durch den darauf ausgelegten Weltenbau ermöglicht. Auch The Witcher 3: The Wild Hunt konnte auf beeindruckende Weise eine Spielwelt präsentieren, die hinter jedem Hügel neue Horizonte und Möglichkeiten offerierte. Doch selbst dort fühlte ich mich zeitweise von (Neben)Quests gehetzt, zum Erfüllen von Aufgaben gedrängt.

Auch Breath of the Wild und Odyssey basieren auf einer Storyline, deren Voranschreiten nur durch das Erfüllen von Aufgaben zu realisieren ist. Doch diese Narration tritt in diesen beiden Spielen derart in den Hintergrund, dass die Erkundung der Spielwelt unverkennbar zum Star dieser Spiele erhoben wird. Dies kann man sicherlich auch kritisieren – doch ich finde es hervorragend. Während Link in Breath of the Wild Höhenunterschiede mittels eines Gleitschirms innerhalb kürzester Zeit unbeschadet überbrücken kann, kann der schnauzbärtige Ex-Klempner durch aberwitzige Sprünge nahezu jedes Hindernis überwinden. Diese Art, sich die Welt auch über das eigene spielerische Ausprobieren der vom Spiel dargebotenen Mechaniken anzueignen, ist beachtenswert. Über das geschickte Ausnutzen (und Umgehen) von spielmechanischen Gegebenheiten, erreicht man zuvor unerreichbar scheinende Orte, was den Erkundungsdrang noch weiter forciert. Während sich in Breath of the Wild eine riesige, zusammenhänge Spielwelt auftut, die tagelanges Umherstreifen ermöglicht, bietet Odyssey zahlreiche kleinere, dafür umso abwechslungsreichere Welten, die aber auch in ihrer vergleichsweisen Kompaktheiten eine Vielzahl an Erkunungsreizen setzen. Nintendo probiert hier zwei Varianten eines Open-World-Prinzips aus, bleibt seiner Erkundungsphilosophie aber treu.

Der Weg ist das Ziel

Welche Antwort bietet uns Nintendo also auf die Fragen, die wohl eher implizit an das Digitale Spiel und Spielende gestellt werden? Ich möchte behaupten – so ausgelutscht es klingen mag: Der Weg ist das Ziel. Es ist nicht die Beute, der Loot, der an einer Markierung in der Spielwelt auf uns wartet, der in Breath of the Wild und Odyssey antreibt. Es ist die Erkundung als von der Spielwelt ermöglichte Landschaftserfahrung, die in ihrer Vielfältigkeit und explorativen Freiheit primär die Spielerfahrung konstituiert. Damit trifft Nintendo noch eine viel weitreichendere Aussage darüber, wie wir in Zukunft spielen wollen: Spielen muss nicht ergebnisorientiert sein. Die vielfach ephemeren Landschaftserfahrungen lassen sich kaum in harten Zahlen fassen, anders als beispielsweise der Verteidigungswert der neuen Rüstung, die sich in einem Dungeon von Destiny 2 versteckt. Und doch sind sie nicht weniger wert. Wer weiß: Vielleicht kann die Erkundung um der Erkundung willen auch ganz befreiend sein in einer hochgradig ergebnisorientierten Gesellschaft.

  1. Bonner, Marc: Erkundung als Virtuell-Fiktionale Immtersionsstrategie. In: Institut für immersive Medien (Hg.): Jahrbuch immersiver Medien. Schüren: 2016. S.38
  2. Bonner, Marc: Erkundung als Virtuell-Fiktionale Immtersionsstrategie. In: Institut für immersive Medien (Hg.): Jahrbuch immersiver Medien. Schüren: 2016. S.53
  3. ebd.