Digitale Spiele: Langweilt euch!

Collage aus Screenshots von Death Stranding (links), Red Dead Redemption 2 (mitte) und Disco Elysium | Bildrechte: Kojima Productions / Rockstar Games / ZA/UM (Collage: FZ)
Collage aus Screenshots von Death Stranding (links), Red Dead Redemption 2 (mitte) und Disco Elysium | Bildrechte: Kojima Productions / Rockstar Games / ZA/UM (Collage: FZ)

Ich habe ein paar Gedanken zu Death Stranding, Disco Elysium und Red Dead Redemption 2 – und ich möchte sie hier mit euch teilen.

Vor Kurzem habe ich einen Aufsatz für einen wissenschaftlichen Sammelband verfasst. Darin geht es um Red Dead Redemption 2 und wie dieses Spiel mit vielen Konventionen heutiger Blockbuster-Titel gebrochen hat mit seinen schier endlosen Pferderitten, der unkomfortablen Steuerung und seinen menschenleeren und questbefreiten Landschaften. Kernthese war, dass das Spiel damit nicht nur eine ungewöhnliche Langsamkeit forciert, sondern es geradezu wagt, Spielende zu langweilen. Es gibt ja auch durchaus eine Diskrepanz zwischen den überschwänglichen Kritiken zum Spiel und den User-Scores.

Der Aufsatz ist noch nicht erschienen und dessen genaue Argumentation ist hier jetzt auch nicht von Relevanz. Vielmehr beginne ich zu verstehen, dass das, was ich in Red Dead Redemption 2 gefunden habe, eigentlich viel größer ist und weit über dieses eine Spiel hinausgeht.

Im Grunde haben Christian Huberts und ich ja schon den theoretischen Aufschlag dafür gemacht, angemessen über Langeweile in Digitalen Spielen nachzudenken. Wir finden ja, dass „Walking Simulator“ ein diffamierender Begriff ist und haben deswegen als Alternative „Ambience Action Game“ vorgeschlagen.

Das ist natürlich ein sehr akademischer Begriff, manche mögen gar sagen: verkopft. Vielleicht. Aber es geht ja auch nicht darum, irgendeinen verbreiteten Begriff zu ersetzen. Es geht um eine Phänomenbeschreibung (#Phänomenologie).

Häufig gibt es Kritik an Walking Simulators Ambience Action Games. Auf Platz 1 (nach meiner Einschätzung): Diese Spiele seien langweilig. Christian und ich haben ausführlich argumentiert, warum diese Kritik zu kurz greift und warum – durch das Zurückfahren der Möglichkeiten der Spielenden – ganz neue Wahrnehmungsräume aufgemacht werden. Aber vielleicht haben wir unterschätzt, wie wichtig Langeweile ist. Ich zumindest.

Langeweile wird im Duden folgendermaßen definiert: „als unangenehm, lästig empfundenes Gefühl des Nicht-ausgefüllt-Seins, der Eintönigkeit, Ödheit, das aus Mangel an Abwechslung, Anregung, Unterhaltung, an interessanter, reizvoller Beschäftigung entsteht.“ Sehr negativ also. Und Langeweile ist ja auch eigentlich nicht schön. Wenn sie, beispielsweise im Job, zum Dauerzustand wird, besteht sogar die Gefahr eines Bore-Outs.

In meinem Red Dead Redemption 2-Aufsatz habe ich nun versucht, Langeweile irgendwie auch positiv zu wenden. Warum? Ich glaube, dass sie wichtig ist heutzutage und dass Spiele gut daran tun, ihre Spielende hin und wieder auch mal zu langweilen. Und damit zu Disco Elysium und Death Stranding – ach ja: und natürlich auch zu Assassin’s Creed & Co.

Langeweile ist nicht Teil des Selbstverständnisses von Assassin’s Creed. Langeweile ist nicht Teil des Selbstverständnisses von Far Cry. Langeweile ist nicht Teil des Selbstverständnisses von Ubisoft. Warum denn nun Ubisoft? Hat dieses Unternehmen denn nicht schon genug damit zu kämpfen, dass der neuste Teil der Ghost Recon-Serie ein kolossaler Flop war? Muss ich da noch nachtreten? Ja klar, weil das alles zusammenhängt.

Langeweile ist gefährlich. Der Moment der Langeweile ist der Moment, in dem Spielende das Spiel beenden könnten. Vielleicht für immer. Höchstrafe für Games-as-a-Service. Dafür führe ich hier Ubisoft an, das ja oft und zurecht für sein Ubisoft-Formel kritisiert wird, die mit diesem Service-Modell eine Symbiose eingegangen zu sein scheint.

Überhaupt: Langeweile scheint mir aktuell so verpönt wie lange nicht mehr. Neue Impulse kommen mit einer derartigen Regelmäßigkeit auf unsere Smartphones, dass jeder Moment des Alten die Gefahr der Langeweile in sich trägt. Dass es außerdem solche Konzepte wie „Netflix-Spiele“ oder „Podcast-Spiele“ gibt, also Spiele, die gespielt werden, während man gleichzeitig noch eine Serie schaut oder einen Podcast hört, steht ja sinnbildlich dafür, wie groß die Angst vor der Langeweile ist. Selbst ein Podcast, eine Serie oder ein Spiel reichen nicht mehr. Die Langeweile lauert und wartet nur auf einen Moment des Nichtbeschäftigtseins, um zuzuschlagen.

Und dann kommt ein Spiel wie Red Dead Redemption 2 und wagt es, Spielende eine Viertelstunde lang durch die Pampa zum nächsten Ziel reiten zu lassen. Und dann kommt Disco Elysium und wagt es, Spielenden bücherweise Text vorzulegen, ganz unreduziert und unvorgelesen. Und dann kommt Death Stranding und wagt es, Spielende als bessere Paketboden durch das Niemandsland zu scheuchen, kletternd und fallend. Langweilt das jeden und jede? Sicherlich nicht. Aber die Gefahr der Langeweile wird billigend in Kauf genommen.

Ich glaube, dass diese Digitalen Spiele eine Gegenbewegung zu den bisher dominierenden, auf maximale Unterhaltung und minimalen Leerlauf ausgelegten, durchoptimierten Games-as-a-Service sind. Letztere sind ja auch gerade mit Ghost Recon: Breakpoint krachend gescheitert, weil dieses Spiel vor allem ein Flickenteppich an zahllosen, kaum kompatiblen Ideen war. Ubisoft hat mit diesem Spiel, könnte man sagen, wie im Rausch und kaum zielend mit einem Schrotgewehr auf die Langeweile gefeuert, auf dass sie fernbleibe von diesem Werk. Doch man kann die Langeweile nicht töten. Sie kommt immer wieder zurück. Und wer es zu sehr versucht, läuft Gefahr, im Exzess der Unterhaltung zu ertrinken. Das ist gewiss nicht nur im Digitalen Spiel so.

Eigentlich sind ja schon die Walking Simulator Ambience Action Games die Antwort auf den irrationalen Kampf des Digitalen Spiels gegen die Langeweile. Sie umarmen die Langeweile, weil sie wissen, dass sie stärker wird, wenn sie sie komplett auszuschließen versuchen. In wohldosierten Dosen eröffnet sich ganz unerwartete Spielerfahrungen, Wahrnehmungsräume, Atmosphären. Es ist okay sich zu langweilen, unser Gehirn ist das nur nicht mehr gewohnt. Wie toll ist es, dass nun auch Blockbuster-Produktionen die Langeweile mittlerweile (wieder) willkommen heißen.


Beitragsbild: Collage aus Screenshots von Death Stranding (links), Red Dead Redemption 2 (mitte) und Disco Elysium | Bildrechte: Kojima Productions / Rockstar Games / ZA/UM (Collage: FZ)